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Hirnschrittmacher bringt Nervenzellen zur Vernunft

Für einen Hirnschrittmacher zur Behandlung von Nervenerkrankungen wie Parkinson erhalten Prof. Dr. Dr. Peter A. Tass vom Forschungszentrum Jülich und Prof. Dr. Volker Sturm von der Universität Köln den Wissenschaftspreis des Stifterverbandes – Erwin Schrödinger-Preis. Die mit 50.000 Euro dotierte Auszeichnung wird jährlich für herausragende interdisziplinäre Forschung vergeben. Der Mediziner, Mathematiker und Physiker Tass leitet die Arbeitsgruppe Magnetenzephalographie und Hirnschrittmacher des Instituts für Medizin am Forschungszentrum Jülich, der Mediziner Sturm ist Direktor der Klinik für Stereotaxie und Funktionelle Neurochirurgie der Universität Köln.

„Den diesjährigen Preisträgern ist es hervorragend gelungen, die Disziplinen Mathematik, Physik und Medizin zu verbinden. Dadurch konnten sie eine Therapie entwickeln, die gezielt bestimmten krankhaften Prozessen bei Parkinson entgegen wirkt“, erklärte Prof. Dr. Johanna Stachel, Dekanin der Fakultät für Physik und Astronomie der Universität Heidelberg und Mitglied der Jury. Den Preis wird Dr. Arend Oetker, Präsident des Stifterverbandes, anlässlich der Jahrestagung der Helmholtz-Gemeinschaft am 17. November 2005 in Berlin überreichen.

Parkinson ist eine der häufigsten Erkrankungen des Nervensystems. In Deutschland gibt es etwa 150.000 Parkinson-Patienten. Allerdings werden viele Fälle nicht erfasst, so dass Schätzungen von 250.000 bis 400.000 Betroffenen ausgehen. Bei Parkinson-Patienten signalisieren bestimmte Nervenzellen des Gehirns fehlerhaft. Während gesunde Nervenzellen ihre Signale gezielt und aufeinander folgend wie beim Dominoeffekt von einer Zelle zur nächsten weitergeben, feuern bei Erkrankten die Nervenzellen einer bestimmten Hirnregion synchron, das heisst alle gleichzeitig. Als Folge hat der Patient Schwierigkeiten, seine Feinmotorik zu steuern: Die Hände zittern stark, einfache Tätigkeiten wie das Binden der Schuhe, das Zuknöpfen der Kleidung oder das Schreiben werden unmöglich. Später kommen Steifheit und Verlangsamung hinzu. Schliesslich ist der Patient bewegungsunfähig.

Dopamin hemmt beim gesunden Menschen die Nervenzellen und sorgt dafür, dass nicht alle Zellen gleichzeitig ihre Signale abgeben. Bei vielen Parkinson-Patienten produzieren bestimmte Zellen im Gehirn den Botenstoff Dopamin zu wenig oder gar nicht mehr. Eine medikamentöse Behandlung mit Dopamin hilft vielen Patienten nur für eine begrenzte Zeit und zeigt danach keine Wirkung mehr bzw. führt nicht selten zu massiven Nebenwirkungen. Bislang hilft diesen Menschen nur noch die Behandlungsmethode der tiefen Hirnstimulation. Dabei implantieren Neurochirurgen den Patienten eine kleine Elektrode, die Stromstösse hoher Frequenz an die kranke Hirnregion abgibt. Das unterdrückt die Nervenimpulse. Bisher erfolgte die elektrische Stimulation als „Dauerfeuer“. Diese Form der Hirnschrittmacher-Behandlung ist inzwischen eine hochwirksame Standardbehandlung für Patienten, denen medikamentös nicht mehr geholfen werden kann. Aber auch diese Methode hat ihre Grenzen: Eine Anzahl von Patienten sprechen auf diese Behandlung nicht an oder haben Nebenwirkungen. Bei anderen sinkt der therapeutische Effekt oder verschwindet im Laufe der Behandlung völlig.

Tass und seine Mitarbeiter haben das synchrone Feuern der betroffenen Hirngebiete in mathematischen Modellen nachgebildet. Mit Methoden der Mathematik und Physik entwickelten sie Stimulationstechniken, die durch das Ausnutzen von Selbstorganisations-Vorgängen der Nervenzellverbände ganz besonders effektiv und schonend wirken. Die neu erworbenen Erkenntnisse ermöglichten es den Wissenschaftlern, ein neues Verfahren zur Hirnstimulierung zu entwickeln, das einzelne elektrische Impulse bedarfsgesteuert an unterschiedliche Gruppen von Nervenzellen verabreicht. Bei dem Verfahren werden die Nervenimpulse nicht wie bei herkömmlichen Implantaten unterdrückt, sondern aus dem Takt gebracht, also desynchronisiert. Wie die erfolgreiche erste klinische Erprobung gemeinsam mit dem Forschungspartner Sturm am Universitätsklinikum Köln zeigte, wird das Zittern bei Patienten mit Parkinson oder Multipler Sklerose besser und mit erheblich weniger Reizstrom unterdrückt. Deshalb ist zu erwarten, dass diese milde, aber sehr effiziente Modulation der Nervenzelltätigkeit im Dauergebrauch weniger Nebenwirkungen hervorrufen wird. Darüber hinaus scheint die Methode auch für die Behandlung anderer neurologischer und psychiatrischer Erkrankungen ein Lichtblick zu sein.

Die Jülicher Wissenschaftler planen die Gründung eines Unternehmens, das den neuen Hirnschrittmacher für die klinische Anwendung einsatzbereit machen und produzieren soll. Auch die im Juni eingerichtete medizinische Bettenstation des Forschungszentrums Jülich unterstützt Tass‘ Forschungsarbeiten. Das Zentrum verfügt als erste ausseruniversitäre Forschungseinrichtung in Deutschland über eine solche Station. Dadurch können die Jülicher und Kölner Mediziner ihre Hochleistungsgeräte in der neurologischen und psychiatrischen Forschung besser einsetzen und weiterentwickeln. (Text: Ellen Peerenboom)

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