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„Weißbuch Schmerz“: Erste Bestandsaufnahme der Versorgungssituation von Schmerzpatienten

Die deutsche Schmerzforschung ist international anerkannt und die Patientenversorgung entwickelte sich hierzulande in der Vergangenheit besser als in manchen anderen Ländern. Doch dieser Prozess stockt: Ein erheblicher – wenn nicht gar der größte – Teil der betroffenen Patienten erhält nach wie vor keine adäquate Behandlung. Geschieht nichts, warnen die Experten im neuen „Weißbuch Schmerz“, werde der demographische Wandel die bestehenden Probleme verschärfen.

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Die zentrale Forderung der Herausgeber und Autoren lautet: „Es gilt den Millionen von Schmerzpatienten in Deutschland zu ihrem Recht auf eine angemessene Behandlung zu verhelfen und die Chronifizierung von Schmerzen durch intelligente Versorgungskonzepte und eine frühzeitige Behandlung möglichst zu verhindern.“

Akuter Schmerz ist ein Warnsignal. Schmerz ist ein ständiger oder wiederkehrender Begleiter von Erkrankungen, die nicht (mehr) geheilt werden können. Schmerz kann sich verselbstständigen und zu einer eigenständigen Krankheit werden, der chronischen Schmerzkrankheit. Mit all seinen Facetten ist Schmerz damit das häufigste Krankheitsbild überhaupt – häufiger als Diabetes, häufiger als Krebs und häufiger als Herz-Kreislauferkrankungen. Im Gegensatz zu diesen Leiden fehlt chronischer Schmerz jedoch in den meisten Statistiken zur Erfassung der Bedeutung von Erkrankungen. Dies hat gravierende Folgen zum Beispiel für politische Entscheidungen, die auf diesen Statistiken beruhen: Was nicht von der Statistik erfasst wird, existiert nicht. „Trotz großer Fortschritte in der Schmerzforschung während der letzten beiden Dekaden, wurde die Patientenversorgung nicht analog verbessert“, erklären die Herausgeber des Weißbuches Schmerz, Dr. Marianne Koch und Prof. Dr. Hans Rüdiger Vogel. Es fehlte ein umfassender Überblick, der die Versorgungslage beschreibt und Lösungswege zur Verbesserung aufzeigt. Diese Lücke schließt nun das „Weißbuch Schmerz“. In ihm geben führende Experten einen umfassenden Überblick zum aktuellen Stand der Versorgung von Patienten mit verschiedenen Schmerzformen und präsentieren Vorschläge, wie die Situation der Patienten verbessert werden kann.

Schmerzforschung. Die deutsche Schmerzforschung ist international anerkannt. Auf dem Gebiet der Erforschung des neuropathischen Schmerzes ist Deutschland sogar weltweit führend. Dennoch besteht ein Missverhältnis zwischen der Bedeutung chronischer Schmerzen für die Patienten und die Gesellschaft und der Förderung der Schmerzforschung: Für sie werden weniger als ein Prozent der Folgekosten chronischer Schmerzerkrankungen aufgewendet. Es fehlt vor allem die Nachhaltigkeit. Dabei ist der Forschungsbedarf groß: Die Erkenntnisse der Schmerzforschung müssen schneller in neue Diagnose- und Therapieverfahren umgesetzt werden. Ebenso besteht großer Forschungsbedarf im Bereich der Epidemiologie und bei den schmerzbedingten Gesundheitskosten.

Mediziner-Ausbildung. Diagnostik und Therapie von chronischen Schmerzen sind noch immer kein verbindlicher Bestandteil des Medizinstudiums und der Facharzt- Weiterbildung. In der Approbationsordnung fehlt die Schmerztherapie als Pflichtfach. Ob Schmerztherapie an einer Universität gelehrt und damit gelernt wird, steht im Ermessen der Hochschule. Es gibt zwar die Zusatzweiterbildung „spezielle Schmerztherapie“ (eingeführt 1996), doch die Schmerztherapie ist nicht als eigenständiges Fach in der Medizin repräsentiert. Bis heute gibt es keinen einzigen Lehrstuhl für Schmerztherapie.

Strukturprobleme im Gesundheitssystem. Zur Behandlung von Schmerzen stehen heute wirksame Methoden zur Verfügung. Darüber hinaus verbessern innovative Behandlungskonzepte, insbesondere multimodale und interdisziplinäre Ansätze, die Therapie chronischer Schmerzen. Diese Verfahren ermöglichen eine adäquate Versorgung und vor allem die Prävention der Schmerzchronifizierung. Der Bedarf an schmerztherapeutischen Einrichtungen, die interdisziplinär arbeiten, wird auf rund 3000 geschätzt. Vorhanden sind indes nur etwa 500. Vernetzte und übergreifende Strukturen, in denen auch die sektoralen Grenzen überwunden werden, entwickeln sich sehr langsam. Die Folge: Derzeit erzielt das System der Regelversorgung in Deutschland aufgrund der Defizite bei der Behandlung chronischer Schmerzen trotz einem hohen finanziellen Aufwand nur relativ schlechte Ergebnisse. Effektive Behandlungsmaßnahmen werden zumeist viel zu spät und zu zögerlich eingeleitet.

Ökonomische Rahmenbedingungen im Gesundheitssystem. Die ökonomischen Rahmenbedingungen im Gesundheitssystem machen Leistungseinschränkungen bei der Versorgung unausweichlich und erschweren eine sachgerechte Therapie deutlich.

Voraussetzungen für Verbesserungen in der Schmerzversorgung

Auf der Grundlage der Bestandsaufnahme im Weißbuch Schmerz empfehlen die Präsidenten der deutschen Schmerzorganisationen eine Reihe von Maßnahmen, wie die Versorgung von Schmerzpatienten in Deutschland nachhaltig verbessert werden könnte:
• Die Schmerzforschung in Deutschland muss entsprechend ihrer Bedeutung und ihrem internationalen Renommee stärker unterstützt werden und in den Plänen für die zukünftige Ausrichtung der Gesundheitsforschung als elementarer Bestandteil repräsentiert sein.
• Die Diagnostik und Therapie von akuten und chronischen Schmerzen müssen in die Approbationsordnung der Ärzte als Pflichtfach und in die Weiterbildung aller Facharztrichtungen aufgenommen werden.
• Die Schaffung einer Facharzt-Bezeichnung für Schmerztherapie würde der Schmerzmedizin an den Universitäten zu einer stärkeren und eigenständigen Repräsentation verhelfen. Davon würde auch die Schmerzforschung profitieren.
• Nötig sind verbesserte Präventionsmaßnahmen, eine rechtzeitige und ausreichende Therapie akuter sowie eine effektive interdisziplinäre Behandlung chronischer Schmerzen. Dies erfordert eine abgestufte Versorgung und definierte Behandlungspfade für Schmerzpatienten sowie klare Schnittstellen, die im Gesundheitswesen etabliert werden müssen.
• Erforderlich sind mehr ambulante oder stationäre Schmerzzentren, in denen verschiedene Fachrichtungen– Ärzte, Psychologen, Physiotherapeuten – zusammenarbeiten und Patienten gemeinsam betreuen. ? Die Versorgungsstrukturen müssen flächendeckend für die Mitglieder aller gesetzlichen Krankenversicherungen verfügbar sein. Nur so können „Patientenkarrieren“ und die Chronifizierung von Schmerzen vermieden werden. Dazu sind nicht unbedingt mehr Mittel erforderlich, sondern vielmehr eine intelligentere Nutzung der vorhandenen.
• Diagnostik und Therapie von Schmerzen müssen in den Leistungsverzeichnissen der Gesetzlichen Krankenkassen sowie in den Fallpauschalen der Kliniken adäquat abgebildet sein.
• Der chronische Schmerz muss in die verschiedenen Statistiken als eigenständige Erkrankung aufgenommen werden. Nur dann wird der Schmerz nicht mehr nur als ein Symptom anderer Erkrankungen, sondern als eigenständige Krankheit wahrgenommen und verschlüsselt.

„Weißbuch Schmerz“ – eine Bestandsaufnahme der Versorgungssituation von Patienten mit chronischem Schmerz in Deutschland o Georg Thieme Verlag Stuttgart (2008) ISBN 978-3-13-149911-0

Kontakt und weitere Informationen

Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie e.V. Deutsche Schmerzliga e.V. Pressestelle: Dipl. Biol. Barbara Ritzert ProScience Communications GmbH Andechser Weg 17 o 82343 Pöcking Tel.: +49(0)8157 9397-0 o Fax: +49(0)8157 9397-97 E-Mail: ritzert@proscience-com.de

Deutsche Gesellschaft zum Studium des Schmerzes Pressestelle: Meike Drießen, M.A. c/o Ruhr-Universität Bochum 44780 Bochum Tel.: +49(0)234 32-26952 o Fax: +49(0)234 32-14136 Internet: http://www.dgss.org E-Mail: presse@dgss.org

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