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Methusalems Medizin

Die amerikanische Biotech-Firma Geron will Krebs mit einem Tumor-Wachstumsblocker bekämpfen. Nebeneffekt: Gesunde könnten damit viel älter werden. Eine spannende Spekulation Seite 28 von Michael Braun Methusalem, der Grossvater von Sintflut-Noah, war ein rüstiger Gesell. Noch im Alter von 187 Jahren soll der biblische Patriarch seinen Sohn Lamech gezeugt haben. Danach, heisst es bei Luther, „lebte er 782 Jahre und zeugte Söhne und Töchter, dass sein ganzes Alter ward 969 Jahre“. Mit dieser Vitalität können die Menschen im 21. Jahrhundert naturgemäss nicht mithalten. Doch sie sind dem Urvater Methusalem ganz langsam auf den Fersen. Mädchen, die heute in Deutschland auf die Welt kommen, haben mittlerweile eine statistische Lebenserwartung von 91, Jungen von 85 Jahren. Und der Alterstrend zeigt in den sogenannten Sterbetafeln der Versicherungsstatistiker weiterhin steil nach oben “ gen 100 für alle. Damit nicht genug. Geron, ein Anfang der 90er Jahre gegründetes Biotechnologie-Unternehmen mit Sitz im kalifornischen Menlo Park, will das Leben der Menschen mit Hilfe der Telomeraseforschung noch weiter verlängern. Bei Erfolg wäre eine statistische Lebenserwartung denkbar, die deutlich über der Jahrhundertgrenze liegen könnte “ bei 120 Jahren oder sogar mehr. Erreichen will Geron dies mit Hilfe des Enzyms Telomerase. Dieses Enzym sitzt im Zellkern von Tumoren, nicht aber (mit ganz wenigen Ausnahmen) in gesunden Körperzellen. Dort macht es möglich, was eigentlich nicht sein darf: Telomerase lässt in einem komplexen Mechanismus krankes Krebsgewebe unkontrolliert wachsen. Bei jeder Teilung einer gesunden Zelle werden die Spitzen der Chromosomen, die sogenannten Telomere (griechisch für „Endteile“), ein winziges Stückchen gekappt. Diese Telomere sitzen gewissermassen wie ein Plastikring am Ende eines Schnürsenkels und halten das Chromosomen-Knäuel in Form. Sind sie nach vielen Teilungen aufgebraucht, stirbt die Zelle ab. Weil dies milliardenfach geschieht, altert der Mensch, seine Körperleistung lässt deutlich nach. Er verliert Muskeln, Knochen- und Hirngewebe. Er schrumpft. Telomerase hat in bösartigen Zellen eine besonders gemeine Fähigkeit: Sie kann die Verkürzung der Telomere unterbinden. Da sie dies ausgerechnet und ausschliesslich in Krebsgewebe tut, können Tumore mit Hilfe dieses Enzyms unkontrolliert wachsen, bis sie irgendwann den Körper besiegt haben.

Der Ansatz der Forscher zielt auf diesen Mechanismus. Wenn es ihnen gelingt, die Telomerase gezielt zu blockieren, könnten Tumore im Prinzip nicht wachsen. Genau diesen Effekt will der geplante Geron-Impfstoff, für den zur Zeit klinische Tests (Phase 1/2) am Duke University Medical Center in North Carolina laufen, erzielen, indem er das Immunsystem gegen Telomerase aufstachelt. Gerons Partner in diesem Projekt ist der US-Pharmagigant Merck, der seit vergangenen September gut drei Prozent der Geron-Aktien hält. Noch einen Schritt weiter ist das dänische Unternehmen Pharmexa. Erst vor drei Wochen schickten die Skandinavier den Telomerase-Impfstoff GV 1001 in die klinische dritte und letzte Phase. Nach Angaben von Pharmexa ist dies die erste Phase 3-Studie eines Telomerase-Wirkstoffs weltweit. GV 1001, auch PrimoVax genannt, wird an mehreren hundert Patienten mit Bauchspeicheldrüsenkrebs, einer besonders aggressiven Krebsform, getestet. Doch dies soll nur der Anfang sein. „Theoretisch“, heisst es bei Pharmexa, „könnte GV 1001 sich als Universal-Krebsimpfstoff entpuppen.“ Sollten Pharmexa und Geron “ die Rivalen beharken sich zur Zeit in einem munteren Telomerase-Patentstreit “ eines Tages Erfolg haben, dürften Krebserkrankungen weiter an Schrecken verlieren.

Nicht weniger revolutionär als die Krebstherapie ist das, was Geron mit Hilfe der Telomerase in alten oder geschwächten Zellen leisten will. Gezielt eingeführt, könnte das Enzym in solchem Gewebe die Länge der Telomere erneuern und so dafür sorgen, dass Zellen sich regenerieren und länger leben. Dieser Ansatz “ die ersten Produkte sind indes noch Jahre von einer Markteinführung entfernt “ könnte bei einer Fülle von Leiden zum Einsatz kommen, etwa bei Arteriosklerose, Anämie oder altersbedingter Sehschwäche. „Die kontrollierte Aktivierung der Telomerase in normalen Zellen kann die Telomer-Länge erneuern, das Leistungsvermögen verbessern und die Lebensspanne von Zellen erhöhen“, heisst es bei Geron. Kurz: Die Zellen würden langsamer altern “ und damit der Körper, dessen Teil sie sind. Ein Joint Venture von Geron und der Biotechnology Research Corporation (BRC) in Hongkong beschäftigt sich gezielt mit dieser Produktgruppe. Aber wie stets bei Forschungen im Life-Sciences-Bereich sind die möglichen Risiken und Nebenwirkungen sehr hoch. Anleger sollten daher sehr vorsichtig agieren und sich jederzeit des hohen Rückschlagpotentials bewusst sein. So bescheinigt Nora Frey, Partnerin bei der Anlagegesellschaft Adamant Biomedical Investments in Basel, dem Telomerase-Ansatz zwar, „wissenschaftlich sehr interessant“ zu sein. Allerdings seien „diese Projekte sehr langwierig und spekulativ“. Sowohl Pharmexa als auch Geron seien „eher klein und könnten in den kommenden Jahren mit Cash-Problemen zu kämpfen haben“. Vor diesem Hintergrund rät sie Privatanlegern ab, „in die kleinen, hochspekulativen Titel zu investieren“. Man könne mit Direktanlagen in diesem Segment sehr viel Geld verlieren “ wenngleich, sagt Frey, „auch gewinnen“. Sollten die Telomerase-Forscher erfolgreich sein, würden nicht nur die Aktionäre der beteiligten Biotech-Firmen kräftig profitieren, sondern alle Patienten. Ob Krebstherapie oder ein Hinauszögern des Alterungsprozesses: Es besteht die Chance, dass die statistische Lebenserwartung der Menschen mittelfristig weiter steigt. Ob sie allerdings so alt werden wie Methusalem, bleibt fraglich. Der Urvater starb mit 969 Jahren, erstaunlicherweise aber offenbar nicht an Altersschwäche. Glaubt man den Jahresangaben im 1. Buch Mose, kam er im Jahr der Sintflut ums Leben.

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