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Leukämie besser im Griff

Blutkrebs lässt sich durch kombinierte Therapie effizienter behandeln – Marburger Forscher verhindern Resistenz von Leukämiezellen gegenüber Standardmedikament – Veröffentlichungsserie in Blood und Leukemia

Trotz verbesserter Behandlungsmethoden stirbt derzeit eines von vier leukämiekranken Kindern. Bei Erwachsenen ist die Prognose noch schlechter: Drei von fünf erkrankten Erwachsenen überleben die Blutkrankheit nicht. Den derzeit wirksamsten Ansatzpunkt für neue Behandlungsmethoden bilden die genetischen Ursachen der Krankheit. An einer dieser Ursachen setzt das vor wenigen Jahren zugelassene Medikament Imatinib (Glivec®) an, das bei der Behandlung der chronischen myeloischen Leukämie (CML) eingesetzt wird, einer speziellen Form der Leukämie: Der Wirkstoff kann das Eiweiss BCR/ABL, das die Krankheit verursacht, sozusagen abschalten. Trotz seiner guten Wirkung kann aber auch Imatinib gegenüber einzelnen Leukämiezellen machtlos werden – nämlich dann, wenn diese eine Resistenz gegenüber dem Medikament ausbilden.

Gemeinsam mit Partnerinstitutionen ist es Krebsforschern der Philipps- Universität Marburg in grundlagenwissenschaftlichen und klinischen Studien nun gelungen, eine rationale Kombinationstherapie zu erforschen, die Imatinib mit weiteren Wirkstoffen ergänzt. Dank dieser Therapie kommt es im Krankheitsverlauf möglicherweise weniger häufig zur Ausbildung resistenter Zellen beziehungsweise kann die Entstehung von Resistenz durch eine früh einsetzende Behandlung durchbrochen werden.

Darüber hinaus konnten die Wissenschaftler in einer weiteren Arbeit zeigen, dass auch das Vitamin-A-Derivat ATRA in Kombination mit dem Antiepilepsiemittel VPA in der Lage ist, erkrankte Zellen in den Zelltod zu treiben. Dieses Vorgehen hat sich bei einer weiteren wichtigen Leukämievariante, der BCR/ABL-positiven akuten lymphatischen Leukämie (ALL), als erfolgreich erwiesen.

Schliesslich fanden die Marburger Forscher der Arbeitsgruppe Neubauer auch heraus, dass ein Tumorgen namens SKI die Ausreifung von Leukämiezellen blockiert und damit Teil des komplexen Entstehungsprozesses von Blutkrebs ist. Dies eröffnet einen weiteren Ansatzpunkt für Therapien, nämlich die Entwicklung von Medikamenten, die Gene wie SKI unterdrücken können.

Ihre Erkenntnisse, die Konsequenzen für die Behandlung von Leukämien und für die Entwicklung neuer Medikamente mit sich bringen könnten, haben die Forscher nun in drei Publikationen – eine im renommierten Fachjournal Blood, zwei weitere in der ebenfalls sehr anerkannten Fachzeitschrift Leukemia – veröffentlicht. Gefördert wurden ihre Arbeiten von der Deutschen José Carreras Leukämie-Stiftung und der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

„Die Gefahr bei Imatinib“, so erklärt der Marburger Onkologe Dr. Andreas Burchert, „besteht darin, dass trotz der Behandlung immer einige Leukämiezellen übrig bleiben, weil sie gegen das Medikament resistent sind oder im Verlauf der Behandlung eine Resistenz entwickelt haben.“ Burchert ist klinischer Oberarzt und Leiter einer wissenschaftlichen Arbeitsgruppe der Abteilung für Hämatologie, Onkologie und Immunologie der Philipps-Universität, die unter Direktion von Professor Dr. Andreas Neubauer steht. Die Arbeitsgruppe erforscht Probleme der Resistenzentwicklung gegenüber neuen molekularen Therapeutika.

Nun aber stellten die Wissenschaftler fest, dass sie auch solche Leukämiezellen in den Zelltod treiben können, die die Behandlung mit Imatinib sonst überstanden hätten – indem sie nämlich die Substanz Everolimus (RAD001) verabreichen, die den so genannten Pl3-Kinase- Signalweg blockiert. „Das Gute daran ist“, so Burchert, „dass dieser Wirkstoff bereits klinisch eingesetzt wird, nämlich vor allem in der Transplantationsmedizin.“ Die neue Behandlungsform eigne sich besonders für die CML, so Burchert, „und hier wiederum wirkt sie wahrscheinlich besonders gut in den frühen Phasen der Krankheit.“ Bereits vor einigen Monaten haben die Marburger Forscher mit einer klinischen Prüfung der Phase II begonnen: Diese soll Wirksamkeit und Unbedenklichkeit einer Imatinib/RAD001-Kombination in einer grösseren Fallstudie nachweisen, um so eine der Voraussetzungen für die Zulassung eines Medikaments in der Leukämietherapie zu schaffen.

Auch im Bereich der BCR/ABL-positiven Akuten Lymphatischen Leukämie (ALL) haben die Forscher einen Fortschritt erzielt, als sie klinische Leukämieproben analysierten. „Mit der Substanzkombination VPA/ATRA“, sagt Burchert, „die wir zuletzt auch einem Imatinib-resistenten Patienten mit ALL verabreichten, konnten wir vorübergehend eine signifikante anti-leukämische Wirkung erzielen.“ Eine der Ursachen von Krebserkrankungen nämlich besteht darin, dass vom Krebs befallene Zellen nicht mehr ausdifferenzieren, weil bestimmte ihrer Gene nicht mehr „abgelesen“ werden. Unter anderem setzt dies auch den für die „Selbstreinigungskräfte“ des Organismus wichtigen Apoptose-Mechanismus ausser Kraft, der es entarteten Körperzellen ermöglicht, sich selbst „umzubringen“. „VPA/ATRA aber schiebt die abgeschaltete Gentranskriptionsmaschinerie wieder an“, erklärt Burchert, „und dadurch kommt auch der Apoptose-Mechanismus wieder in Gang.“

Besonders interessant, so der Onkologe, sei die Tatsache, dass VPA/ATRA bislang hauptsächlich bei der akuten myeloischen Leukäme (AML) getestet werde, die Ergebnisse aber weniger signifikant als erhofft ausfallen. Der Mechanismus indessen, den die Marburger Arbeitsgruppe jetzt beschrieb, erklärt, warum die Kombination von Imatinib und VPA/ATRA besonders gut bei der BCR/ABL-positiven ALL wirken könnte. „Die Ergebnisse unserer Untersuchungen“, so Burchert, „könnten Konsequenzen für die Behandlung von ALL mit diesen oder ähnlichen Substanzen haben.“

Leukämie (Blutkrebs) ist eine Erkrankung des blutbildenden Systems, bei der zuviele weisse Blutkörperchen gebildet werden. Während akute Leukämien binnen Wochen zum Tode führen können, bringen chronische Leukämien über Jahre hinweg oft kaum Symptome mit sich, können aber dann in die akute Form übergehen. Ursache für die chronische myeloische Leukäme ist die Verschmelzung, die „Fusion“ des ABL-Gens von Chromosom 9 mit einem Teil des BCR-Gens auf Chromosom 22. Während das ABL-Gen das ABL-Protein produziert, das unter anderem für die DNA- Reparatur verantwortlich ist, ist das Fusionsprotein BCR/ABL dauerhaft überaktiv und bewirkt, dass sich weisse Blutkörperchen zu stark und auf Kosten anderer Blutbestandteile vermehren.

Der Wirkmechanismus von Imatinib wiederum beruht darauf, dass er die Aktivität von BCR/ABL blockiert und auf diese Weise BCR/ABL-tragende Zellen gezielt zum Absterben bringt. Während die meisten Zellen sofort zugrunde gehen, wenn ihr BCR/ABL-Gen durch Imatinib abgeschaltet wird, erklärt Burchert, „gelingt es manchen von ihnen, weiterzuleben, zu ‚persistieren‘ – und zwar darum, weil der Pl3K-Signalweg die für die Zelle überlebenswichtigen Funktionen von BCR/ABL mit übernehmen kann.“ Persistierende Leukämiezellen aber sind eine Gefahr für den Körper, denn „im Laufe der Zeit kommt es bei einem Teil der Patienten zu einer bestimmten genetischen Mutation in BCR/ABL“, so Burchert, „sodass Imatinib nicht mehr daran binden kann und das Medikament gegenüber den mutierten Zellen komplett unwirksam wird.“ Eine persistierende Zelle kann also monate- und jahrelang darauf „warten“, dass es eines Tages zu einer Mutation kommt und sie nicht mehr nur persistiert, sondern tatsächlich gegen das Medikament resistent wird. „Indem wir nun zusätzlich zu Imatinib auch noch den Pl3K-Signalweg durch RAD001 blockieren, bleibt der erkrankten Zelle aber von vornherein weniger Chance zum Überleben.“

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