Ein deutsch-französisches Forscherteam klärt die Zusammenhänge zwischen Tiefschlaf und Langzeitgedächtnis auf.
„Da muss ich erst einmal eine Nacht drüber schlafen!“ Was manchen wie ein unnötiges Aufschieben von Entscheidungen oder Taten dünkt, ist in Wahrheit ein sinnvoller Mechanismus. Denn der Körper nutzt den Nachtschlaf nicht nur, um sich zu regenerieren, sondern auch um Erlebtes und Erlerntes dauerhaft zu speichern. Und mehr noch: Beim Aufbau des Langzeitgedächtnisses wird im Kopf aufgeräumt, nicht selten mit dem Ergebnis einer zündenden Idee am nächsten Morgen. Diese Zusammenhänge konnte der Neurobiologie Professor Dr. Jan Born vom Institut für Neuroendokrinologie der Universität Lübeck jüngst in Versuchen im Schlaflabor nachweisen. Gemeinsam mit Forschern an der Pariser Universität klärte das Team in den vergangenen drei Jahren die zentralen Mechanismen der nächtlichen Datenarchivierung auf. Die VolkswagenStiftung unterstützte das Vorhaben mit insgesamt 454.000 Euro.
Tagsüber fungiert das Gehirn als Sammelstelle von Daten; nachts, wenn der beständige Input an Eindrücken und Informationen versickert, kann es sich auf das Sortieren und dauerhafte Archivieren umstellen. Wie unser Hochleistungsrechner im Kopf diesen Datentransfer bewältigt, fand Born heraus, indem er bei freiwilligen Versuchsteilnehmern neurophysiologische und kognitive Untersuchungen zur Gedächtnisbildung durchführte. So konnte er unter anderem beweisen, dass an der Gedächtnisbildung sogenannte Deltawellen beteiligt sind: langsam oszillierende elektrische Signale, die das Gehirn im Tiefschlaf aussendet. Wurden diese bei den Probanden über Elektroden verstärkt, schnitten die Testpersonen am nächsten Tag deutlich besser im Gedächtnistest ab als die unbeeinflussten Schläfer. Ein spektakuläres Ergebnis, das Jan Born und sein Team im November vergangenen Jahres in Nature veröffentlichten.
Weitere Einblicke in die Hirnaktivität im Schlaf lieferte das Partnerteam um Professorin Dr. Susan Sara, die an der Universität Paris Versuche an Ratten durchführt. Diese Experimente machten sichtbar, dass frisch erworbene Lerninhalte zunächst im Hippokampus abgelegt und zwischengespeichert werden. Am Ende eines langen Tages dann wird dieser nicht etwa ausgeschaltet, sondern nach dem Eintauchen in den Tiefschlaf werden die Erlebnisse noch einmal aufgerufen und zur Hirnrinde gesendet. Dort können sie in das Netzwerk bestehender Langzeitgedächtnisinhalte fest integriert werden. Dabei ist es die Hirnrinde, die über die genannten Deltawellen signalisiert, wann der Erinnerungsspeicher zur Aufnahme bereit ist.
Dieses Signal geben die elektrischen Wellen über biochemische Botenstoffe an den Hippocampus weiter. Während die Konzentration der Neurotransmitter Acetylcholin und das Stresshormon Cortisol im Tiefschlaf auf ein Minimum absinken, bleibt die Ausschüttung von Noradrenalin erhalten, wird aber – durch den synchronisierenden Einfluss der langsamen Deltawellen – genau auf die Momente abgestimmt, zu denen der Hippocampus seine Informationen an die Hirnrinde überspielt. Die Experimente an Ratten zeigten deutlich, dass die zellulären Prozesse der Gedächtnisbildung verzögert ablaufen, wenn die Wirkung von Noradrenalin im Schlaf durch ein Medikament verzögert wird.
Die Lübecker Neurowissenschaftler prüften das Konzept der Gedächtnisbildung in einer Studie mit 66 freiwilligen Versuchsteilnehmern, die aus einer vorgegebenen Zahlenreihe eine neue Ziffernfolge ableiten sollten. Bei dieser Aufgabe waren mehrere Lösungen möglich, von denen ausgerechnet die einfachste auf den ersten Blick nicht zu erkennen war. Erst nach acht Stunden Schlaf fanden die Prüflinge des Pudels Kern. Nachtschwärmer hingegen blieben erfolglos: Ihnen fehlte ganz offensichtlich der segensreiche Tiefschlaf, der über Gedächtnisbildung zu neuen Einsichten führen kann.
„Da muss ich erst einmal eine Nacht drüber schlafen!“ Es kann sich also wirklich lohnen, den Dingen einen nächtlichen Aufschub zu gönnen. Wer bei der Vorbereitung für eine Prüfung auch an seinen Schlaf denkt, hat gute Chancen, den gelernten Stoff auch im entscheidenden Moment zu erinnern. Auf das dicke Buch unter dem Kissen kann man dabei getrost verzichten. Und auch der Umkehrschluss des Konzepts ist alltagstauglich: Wer Erlebtes möglichst schnell vergessen möchte, sollte sich die Nacht um die Ohren schlagen.
Sie finden einen ausführlichen Artikel dazu in unserer aktuellen Zeitschrift Impulse für die Wissenschaft 2007, Seite 60 ff., im Internet unter