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Nicht nur das Licht, auch die Temperatur beeinflusst die innere Uhr

Jedes Lebewesen besitzt einen natürlichen Biorhythmus von etwa 24 Stunden. Der Wechsel zwischen Hell und Dunkel sorgt dafür, dass die innere Uhr nicht aus dem Takt gerät. Doch auch die Temperatur beeinflusst sie. Folgen von Hitze können ein Mittagsschlaf und langes Aufbleiben sein. Kälte begünstigt dagegen ein frühes Ermüden.

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Beim Blick aus dem Fenster widerstrebt es derzeit vielen Menschen, einen Fuß vor die Tür zu setzen. Es ist eiskalt und grau. Ungemütlich. Die eigenen vier Wände locken dagegen mit Behaglichkeit und Wärme. Es fällt nicht schwer, den Nachmittagsspaziergang ausfallen zu lassen. Jeder kennt dieses Alltagsphänomen: Die Temperatur beeinflusst die Tagesgestaltung. Diesen Zusammenhang versuchen Wissenschaftler biologisch zu erklären. Bei Insekten konnten sie bereits nachweisen, dass die Temperatur die innere Uhr und die aktiven Phasen am Tag verschiebt.

Dabei galt lange Zeit das Tageslicht als wichtigster Zeitgeber für die innere Uhr. Doch diese Vorstellung greift zu kurz: „Die Bedeutung der Temperatur wurde übersehen, weil sie im Labor meist gleich bleibt“, betont Charalambos Kyriacou, Verhaltensgenetiker von der Universität Leicester. So ging man davon aus, dass das Tageslicht bestimmt, wann Lebewesen aufwachen, zur Höchstform auflaufen und müde werden. Doch nicht nur das Licht bestimmt den Tagesrhythmus. Wärme und Kälte modulieren ihn ebenso.

Ein aufschlussreiches Experiment hierfür führt ins kühle britische Leicester und in die mediterrane Stadt Padua. An beiden Orten studierte Kyriacou wildlebende Taufliegen. Ihm fiel auf, dass sich die Tiere in beiden Ländern unterschiedlich verhalten. Je heißer es ist, desto mehr Fliegen wachen schon vor Sonnenaufgang auf und schwirren umher. Von Mai bis August waren alle Taufliegen in Padua vor Tagesanbruch unterwegs, im Leicester dagegen nur ein kleiner Teil. In Norditalien hielten die Fliegen in den Sommermonaten überraschenderweise einen Mittagsschlaf, während die britischen Taufliegen zeitgleich auf Futtersuche gingen. Je wärmer es war, desto länger blieben die Insekten am Abend wach und desto aktiver waren sie in der Nacht.

Was Kyriacou an der Taufliege beobachtete, ist dennoch nichts Außergewöhnliches. „Viele Lebewesen zeigen ein Verhalten, das an die jeweilige Temperatur angepasst ist”, fasst Kyriacou zusammen. Sein Verdienst ist es, dass er den Zusammenhang bei Taufliegen weitgehend aufklären konnte: „Temperaturabhängiges Verhalten kann immer entweder auf Veränderungen im Erbgut zurückgeführt werden oder auf Gene, die je nach Temperatur anders abgelesen werden“, erklärt er.

Bei der Taufliege reichen schon ein oder zwei Grad aus, damit beispielsweise das Uhren-Gen PERIOD anders übersetzt wird. Wie bei jedem Gen wird zunächst eine Abschrift erzeugt, die sogenannte RNA. Diese wird zunächst etwas gestrafft. Ein Vorgang, der als „Splicing“ bezeichnet wird. Bei der Taufliege wird jedoch an kalten Tagen die RNA stärker gekürzt. Das Splicing geht schneller vonstatten als bei warmem Wetter. Dies führt dazu, dass das Insekt schon früh am Abend müde wird. Ist es dagegen draußen heiß, wird an der RNA-Abschrift kaum der Rotstift angesetzt; das Splicing dauert länger. Die Tiere ziehen sich deshalb mittags zur Siesta zurück. Nach dem Nickerchen sind sie bis in die späten Abendstunden aktiv.

Weiterhin wird das Uhren-Gen TIMELESS einige Stunden nach Sonnenaufgang an kalten Tagen stärker abgelesen als an warmen. Isaac Edery von der Rutgers University in Piscataway im Bundesstaat New Jersey konnte zeigen, dass dies dazu führt, dass die innere Uhr der Taufliegen bei Kälte schneller läuft und die Tiere früher einschlafen. „Die Temperatur beeinflusst die innere Uhr so, dass die aktiven Phasen auf jene Tageszeiten fallen, die für den Organismus biologisch am günstigsten sind“, sagt Edery.

Viele Taufliegen haben sich an das Klima ihrer Heimat angepasst. Während norditalienische Fliegen perfekt mit hohen Temperaturen klarkommen, läuft ihre innere Uhr an kalten Tagen zu schnell. Ihr PERIOD-Gen ist nämlich etwas kürzer als das ihrer Artgenossen in Nordeuropa. „Die italienischen Fliegen brauchen bei Kälte jeden Tag Energie, um ihre innere Uhr um eine halbe Stunde zu korrigieren“, kommentiert Kyriacou. Grundsätzlich können Tiere ebenso wie Menschen aber Temperaturschwankungen soweit ausgleichen, dass ihre Uhr ungefähr in einem 24-Stunden-Takt weiterläuft.

Unklar ist, ob der Tagesverlauf des Menschen ebenso drastisch von der Temperatur beeinflusst wird wie bei der Fliege. Edery dazu: „Viele Jahre hätte man abgewunken. Schließlich sind wir Menschen gleichwarm und die Temperatur in unserem Körper schwankt im Unterschied zu Insekten nur um ein bis zwei Grad im Tagesverlauf. Aber von dieser Vorstellung verabschiedet man sich. Die Temperatur könnte doch eine nennenswerte Rolle spielen.“

Verantwortlich für den Meinungsumschwung sind auch Experimente mit isolierten Nervenzellen aus dem Sitz der zentralen Uhr des Menschen im Gehirn. Wenn man diese in Glasschalen verschiedenen Temperaturen aussetzt, kann ihr natürlicher Rhythmus vollständig verschoben und die Nacht zum Tag gemacht werden und umgekehrt. Die normalen Schwankungen der Körpertemperatur von ein bis zwei Grad können jedoch die Uhr im Gehirn nicht aus dem Takt bringen, betont Edery. Aber in anderen Geweben etwa in der Leber oder dem Herzen könnte die Temperatur größeren Einfluss haben, erwägt er.

Ob die Bewohner warmer Erdteile letztlich wegen ihrer inneren Uhr einen Mittagsschlaf halten, vermag der Chronobiologe nicht zu beantworten: „Es ist bislang umstritten, ob das ein kulturelles oder biologisches Phänomen ist.“ Zwischen Taufliege und Mensch besteht eben ein großer Unterschied.

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