Zeckenplage?

„So schlimm ist es nicht“, betont Dr. Klaus-Peter Hunfeld von der Frankfurter Medizinischen Gesellschaft

Die jüngsten Berichte in der Boulevardpresse über die Bedrohung durch Zecken auch in deutschen Parks und Gärten haben die allgemeinen Befürchtungen weiter verstärkt.

„Wenn das so wäre, müssten wir in ganz Frankfurt an allen Parks Warnschilder aufstellen. Aber so schlimm ist es nicht“, betonte Dr. Klaus-Peter Hunfeld jetzt bei einer Sondersitzung der Frankfurter Medizinischen Gesellschaft, bei der es um neue Erkenntnisse zu den Infektionskrankheiten ging, die von Zecken übertragen werden.

Die Diskussion darüber werde zum Teil „hoch emotional“ geführt, kritisierte Hunfeld, und verwies auf die in den Medien gerne präsentierten Horrorbilder der in extremer Vergrösserung dargestellten Blutsauger.

Auf der anderen Seite gebe es in der Forschung und der Erfassung der Krankheiten noch einen grossen Nachholbedarf: „Wir wissen wenig, es gibt keine bundesweite Meldepflicht für Lyme-Borreliose“.

Nur in den neuen Bundesländern werden neue Krankheitsfälle derzeit statistisch erfasst. So muss man sich insgesamt auf Schätzungen beschränken: Etwa 40 000 bis 60 000 Neuerkrankungen an Borreliose gebe es pro Jahr in Deutschland. Das ist freilich alarmierend genug.

Hunfeld arbeitet am Institut für Medizinische Mikrobiologie der Frankfurter Universitätsklinik, das bei der Erforschung der Lyme-Borreliose bundesweit führend ist. Institutsleiter Professor Volker Brade verwies in seiner Einführung auf immer noch verbreitete Fehlinformationen bezüglich der Übertragungswege:

„Man findet Zecken niemals auf Bäumen, sie sind ausgesprochen lauffaul. Vor allem sind sie an niedrigen Sträuchern und Gräsern zu finden, von denen sie abgestreift werden.“ Auch der gebräuchliche Begriff „Zeckenbiss“ sei falsch. „Zecken stechen, sie können nicht beissen.“

Sie verfügen über sehr empfindliche Tastorgane, mit denen sie ihre Opfer aufspüren. Überträger von Borrelien und anderen Bakterien sind überwiegend halbwüchsige Zecken, so genannte Nymphen. Am meisten verbreitet ist die Unterspezies Borrelia burgdorferi.

Wie Hunfelds Kollege Dr. Peter Kraiczy in seinem Vortrag über den „Immunescape von Borrelien“ nachwies, verfügen die Bakterien über einen komplexen genetischen Aufbau, der es ihnen ermöglicht, „aus dem Blutkreislauf in benachbartes Gewebe einzudringen, ohne der Immunabwehr des Körpers zum Opfer zu fallen.“

Manche Borrelien-Stämme tarnen sich dabei als menschliche Zellen. Die Frankfurter Wissenschaftler haben kürzlich die Struktur eines Proteins entschlüsselt, das auf der Oberfläche der Borrelien zu finden ist und menschliches Eiweiss bindet, so dass der Erreger von der Immunabwehr nicht als körperfremd identifiziert werden kann. Diese Ergebnisse können für neue Behandlungsstrategien genutzt werden.

Schätzungsweise 20 Prozent der Zecken, so Hunfeld, seien mit Borrelien infiziert, der Stich von infizierten Zecken führe in etwa fünf Prozent der Fälle zu einer Erkrankung. Da das Erkrankungsrisiko insgesamt nur bei einem Prozent liege, sei es nicht angezeigt, nach jedem Zeckenstich prophylaktisch Antibiotika zu verabreichen, sondern nur dann wenn ein Nachweis einer Erkrankung vorliege.

In 85 Prozent der Fälle ist ein Erythem, eine ringförmige Hautrötung an der Einstichstelle, das erste Erscheinungsbild einer Borreliose. In zehn Prozent der Fälle kommt es zu einer Neuroborreliose, die das Nervensystem angreift. Die von Zecken übertragene Krankheit mache somit inzwischen „der Syphilis Konkurrenz“.

Ausführlich widmete sich Hunfeld dem Erregernachweis “ entweder indirekt durch die Reaktionen von Antikörpern oder durch die PCR-Technik (Polymerase Chain Reaction), bei der DNA-Kopien untersucht werden. „Es ist inzwischen eine Vielzahl von Testsystemen auf dem Markt, was nicht unbedingt bedeutet, dass die Diagnose einfacher wird“, erklärte der Mediziner.

Einige Verfahren fielen in den Bereich des Para-Medinischen. Bei der Therapie haben sich Antibiotika bewährt, die in den drei Stadien einer Borrelien-Erkrankung abgestuft eingesetzt werden. Derzeit werden neu entwickelte Antibiotika erprobt, da Borrelien in einigen Fällen die bisher üblichen Therapien überlebt haben.

Weitgehend unerforscht sind andere „blinde Passagiere“, die nach einem Zeckenstich in das menschliche Blut gelangen können, wie zum Beispiel Ehrlichiose und Babesiose. Hunfeld berichtete von einem unter Hautveränderungen, Fieberanfällen und Niereninsuffizienz leidenden Patienten, der offenkundig von Parasiten befallen war, wobei man zunächst eine Malariainfektion vermutete, bis durch genauere Untersuchungen eine Babesiose festgestellt wurde.

Bislang sind in Europa 40 Fälle bekannt, während die Ehrlichiose in Europa noch nicht klinisch erfasst wurde. Auch bei diesen seltenen Infektionen ist in der Regel eine Antibiotika-Therapie erfolgreich. In der Diskussion ging es auch um die rechtzeitige und fachgerechte Entfernung von Zecken.

Wichtig sei es, sich selbst und insbesondere Kinder nach einem Spaziergang durch hohes Gras und Strauchwerk nach Zecken abzusuchen. Da Borrelien erst nach längerem Saugen durch den Speichel der Zecke in den menschlichen Körper gelangen, ist eine Infektion nach Angaben der Frankfurter Wissenschaftler eher unwahrscheinlich, wenn die Zecke innerhalb von 24 bis 48 Stunden entfernt wird.

Während man sich gegen die Gefahren der ebenfalls durch Zecken übertragenen Viruserkrankung FSME (Frühsommer-Meningoenzephalitis) vorsorglich impfen lassen kann, ist ein zuverlässiger Impfstoff gegen die in Europa verbreiteten Borreliose-Stämme noch nicht verfügbar. „Es wird in vielen Labors daran gearbeitet“, erklärte Hunfeld, „das ist aber alles noch im experimentellen Stadium.“

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