In geselliger Runde fällt es älteren Menschen oft schwer, einem Gespräch zu folgen – und nicht immer liegt das am schlechten Hörvermögen: Die Ergebnisse einer Studie des LMU-Neurowissenschaftlers Professor Benedikt Grothe legen vielmehr nahe, dass im Alter die umgebende Geräuschkulisse nicht mehr so effektiv ausgeblendet werden kann wie in jüngeren Jahren. „Wahrscheinlich liegt diesem Problem ein Defizit in der zeitlichen Verarbeitung der Information im Gehirn zugrunde“, sagt Grothe. Die Ursache ist vermutlich ein Missverhältnis bestimmter Botenstoffe, die Informationen zwischen Nervenzellen übertragen. Medikamente, die die Botenstoffe wieder ins Gleichgewicht bringen, könnten daher altersbedingte Hörverluste effektiver therapieren als dies bisher möglich ist. (The Journal of Neuroscience, 6. Juli 2011)
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Für das Sprachverständnis ist es essenziell, den zeitlichen Verlauf der Sprache, etwa verschiedene Tonhöhen und winzige Pausen im Sprachfluss, zu hören und voneinander abzugrenzen. Ein Team von Wissenschaftlern um Grothe konnte nun für Wüstenrennmäuse zeigen, dass die Nervenzellen älterer Tiere weniger selektiv auf Geräusche reagieren. Die geringere Selektivität führt dazu, dass die sogenannten rezeptiven Felder weniger heterogen sind. Als rezeptives Feld einer Nervenzelle bezeichnet man die physikalischen Parameter, die diese Zelle bearbeitet. Die rezeptiven Felder der Nervenzellen sind Grundlage für die Verarbeitung und Interpretation von Sinneseindrücken.
Je heterogener die rezeptiven Felder verschiedener Nervenzellen sind, desto höher ist der Informationsgehalt der Signale, die von den Nervenzellen übertragen werden. „Entsprechend liefert unsere Studie Hinweise, dass die Nervenzellen älterer Tiere weniger informativ über natürliche Reize sind, als Nervenzellen jüngerer Tiere“, erklärt Grothe. „Dieses Defizit in der Kodierung könnte die Verarbeitung von komplexeren akustischen Situationen erheblich erschweren.“ Die Folge: Ältere Menschen hören in echoreichen Umgebungen wie etwa Restaurants einen verwirrenden Geräuschbrei, aus dem sich nur schwer einzelne Stimmen isolieren lassen.
Die Wissenschaftler vermuten, dass der veränderten zentralnervösen Signalverarbeitung im Alter ein Ungleichgewicht sogenannter Neurotransmitter zugrunde liegt: Dies sind biochemische Botenstoffe, die Informationen von einer Nervenzelle zur nächsten übertragen. Stimmt das Verhältnis hemmender und aktivierender Botenstoffe nicht mehr, kommt die Signalübertragung aus dem Takt. Sollte sich das bestätigen, wird man bei der Therapie altersbedingter Hörverluste umdenken müssen. „Sind die zentralnervösen Veränderungen, die wir und andere beobachten in der Tat auf ein gestörtes Neurotransmittergleichgewicht zurückzuführen, würden entsprechende Medikamente die derzeit üblichen Therapien erweitern“, sagt Grothe. „Denkbar ist auch eine derartige Behandlung in Ergänzung zu einem Hörgerät, was eine effektivere Therapie altersbedingter Hörverluste als bisher ermöglichen würde.“ (göd)
Publikation:
„Impaired Auditory Temporal Selectivity in the Inferior Colliculus of Aged Mongolian Gerbils”;
L. Khouri, N.A. Lesica, B. Grothe;
The Journal of Neuroscience, 31(27):9958-9970; 6. Juli 2011; doi: 10.1523/JNEUROSCI.4509-10.2011
Ansprechpartner:
Prof. Dr. Benedikt Grothe
Abteilung Neurobiologie am Biozentrum der LMU Tel.: 089 / 2180 – 75300
E-Mail: neurobio@lmu.de
Web: http://sci.bio.lmu.de/neurobiologie/