Forscher vom Fritz-Lipmann-Institut in Jena haben einen neuen Schritt in der Krebsentstehung aufgedeckt. Sie wussten, dass aktiviertes Merlin eine Rolle spielt. Jetzt ist bekannt, wie diese Aktivierung erfolgt. Die Arbeitsgruppe erhofft sich neue Ansätze für die Diagnostik.
Merlin ist nicht nur der Zauberer der Artus-Sage, der das Schwert Excalibur in einem Steinblock versenkte, sondern auch ein Protein, das eine wichtige Rolle bei der Krebsentstehung spielt. Zu den natürlichen Aufgaben des so genannten Tumorsuppressorproteins gehört die Kontrolle des Zellwachstums. „Wenn wir uns schneiden, fangen Stammzellen unserer Haut an sich zu teilen und zu wandern, um den Schnitt wieder aufzufüllen“, erläutert Dr. Helen Morrison vom Fritz Lipmann Institute in Jena. Wie sie hinzufügt, müssen diese Prozesse jedoch wieder stoppen, wenn die Wunde verschlossen ist, damit sie ohne sichtbare Zeichen verheilt. Das entsprechende Stoppsignal gibt aktiviertes Merlin.
Da bei Krebs genau dieser Mechanismus – die Kontrolle der Zellvermehrung – gestört ist, haben Morrison und Kollegen die Aktivierung von Merlin im Detail untersucht, um die Entstehung von Tumoren besser zu verstehen. Die Wissenschaftler erläutern in ihrer Veröffentlichung in der renommierten Fachzeitschrift „Nature“, dass Merlin eine zentrale Kontrollfunktion bei der Vermehrung von vielen Zell- und Gewebetypen hat. Das Protein befindet sich an der Innenseite der Zellhülle und tritt in Aktion, wenn die Zelle in Kontakt zu einer anderen Zelle oder zur Grundsubstanz (Matrix) zwischen Zellen tritt (vereinfacht gesagt, wenn der Schnitt nicht mehr gefüllt, sondern der Zellverband geschlossen wird). Auch eine nachlassende Menge von Wachstumsfaktoren in der Umgebung der Zelle kann ein Auslöser sein.
Wie bereits seit längerem bekannt ist, erfolgt die Aktivierung von Merlin, indem eine spezielle Phosphatgruppe abgespalten wird. Weil bislang jedoch unklar war, auf welchem Wege die Abspaltung stattfindet, hat sich die Arbeitsgruppe um Morrison dieser Frage angenommen. Sie konnte nachweisen, dass ein so genanntes PP1-Enzym diese Aufgabe übernimmt. Es setzt sich zusammen aus zwei Untereinheiten: Die eine (MYPT-1) erkennt Merlin, die andere (PP1?) übernimmt die Abspaltung des Phosphatrests an der entsprechenden Stelle.
Darüber hinaus untersuchte die Arbeitsgruppe den Einfluss von CPI-17 auf die Merlin-Aktivierung, weil die Substanz ein Gegenspieler des PP1-Enzyms ist und dieses sehr spezifisch und potent hemmt. Tatsächlich führte CPI-17 zu einer verminderten Aktivierung von Merlin und zu einer Veränderung der Zellen in Richtung Tumorzellen. Durch Zugabe von aktiviertem Merlin liessen sich diese Prozesse wieder rückgängig machen.
Nach den Vorstellungen der Arbeitsgruppe tritt beispielsweise bei Zell-Zell-Kontakt das PP1-Enzym in Aktion und spaltet den entsprechenden Phosphatrest von Merlin ab. Dadurch kann Merlin die Aktivierung des so genannten Ras-Proteins verhindern. Von Ras wiederum ist bereits seit längerem bekannt, dass es wesentlich zur Entstehung von Krebs beiträgt, wenn es ständig im aktivierten Zustand vorliegt und Signale weitergibt, die zum Zellwachstum und zur Zellteilung führen.
„Nach unseren Ergebnissen könnten – neben Mutationen im Merlin-Gen – auch Störungen der CPI-17-Produktion zum Verlust der Merlin-Funktion und damit zur Tumorentstehung beitragen“, betonen die Forscher. Wie sie hinzufügen, haben sie in verschiedenen menschlichen Tumorzelllinien erhöhte CPI-17-Werte gefunden.
Nach Angaben von Dr. Tobias Sperka, einem der Autoren der Studie, überprüft die Arbeitsgruppe derzeit, ob sich der Nachweis von CPI-17 in Gewebeschnitten für die Charakterisierung von Tumoren – etwa die Stadieneinteilung – eignet. Zudem hält er es für interessant, künftig zu untersuchen, auf welchem Wege die Aktivierung von des PP1-Enzyms erfolgt, um irgendwann die gesamte Kaskade vom Zell-Zell-Kontakt über das PP1-Enzym und Merlin bis hin zum Ras-Protein zu kennen.