Neue Erkenntnisse über den Einfluss der Kaliumkonzentration im Blut auf die Funktion von Muskelfasern hat eine Forschungsgruppe des Instituts für Angewandte Physiologie der Universität Ulm gewonnen. Die Wissenschaftler um Professor Frank Lehmann-Horn und Privatdozentin Dr. Karin Jurkat-Rott gehen in ihrer Studie auch auf eine bewusste Erhöhung der Kaliumkonzentration im Zusammenhang mit Therapiekonzepten ein. Veröffentlicht haben die Arbeit am Mittwoch die „Proceedings of National Academy of Sciences of USA“ (PNAS), den Autoren zufolge nach Nature und Science das bedeutendste Journal für die Natur- und Lebenswissenschaften.
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Die Ulmer Forscher haben demnach herausgefunden, dass Muskelfasern zwei Zustände einnehmen können, nämlich einen (Z1), von dem aus sie sich verkürzen und dadurch Kraft entwickeln können, und einen zweiten (Z2), in dem sie unerregbar und somit gelähmt sind. Normalerweise befinden sich alle Muskelfasern im Zustand Z1. Wenn aber die Kaliumkonzentration im Blut extrem niedrig ist (<1.5mM), gehen gesunde Muskelfasern in den Zustand Z2 über, kehren aber bei normalen Kaliumwerten in den Zustand Z1 zurück. Die Forscher haben zudem entdeckt, dass die Muskelfasern von Patienten mit einer bestimmten Muskelkrankheit schon bei geringer Abnahme der Kaliumkonzentration im Blut in den Zustand Z2 übergehen. Ursache für diese Lähmung ist ein genetisch bedingter „elektrischer Kurzschluß“ der Zellmembran. Bei diesen Patienten kann die Muskelkraft durch Erhöhung der Kaliumkonzentration im Blut verbessert werden. Die Entdeckung gilt nicht nur für Muskelkranke, sondern auch für Muskelgesunde, die wegen einer anderen Erkrankung bestimmte Medikamente einnehmen, die ein Zellmembranleck verursachen, wie zum Beispiel Amphotericin B.
Die Forscher haben Hinweise, dass auch andere Zellen wie Herzmuskelzellen und Nervenzellen in Abhängigkeit vom Blutkaliumwert Zustände mit normaler Funktion (Z1) oder Funktionsverlust (Z2) annehmen können. Daher kann eine diätetische oder medikamentöse Erhöhung der Kaliumkonzentration auch bei Krankheiten sinnvoll sein, bei denen ein „elektrischer Kurzschluß“ der Zellmembran besteht, nach Schlaganfall oder Herzinfarkt zum Beispiel. Bei Postinfarktpatienten hat sich dieses Therapiekonzept schon seit einiger Zeit bewährt, ohne dass hierfür die Gründe bekannt waren.
Originaltitel der Publikation: K+-dependent paradoxical membrane depolarization and Na+ overload, major and reversible contributors to weakness by ion channel leaks