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Junk“-DNA entpuppt sich als gefährlicher Krebstreiber

Forscher der Charité und des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin (MDC) in Berlin sowie der Universität Leeds in Großbritannien haben einen neuen Mechanismus der Aktivierung von Krebsgenen und des Krebswachstums entdeckt. Beim Hodgkin-Lymphom, einem Lymphdrüsenkrebs, konnten sie erstmals für eine Tumorerkrankung des Menschen nachweisen, dass wiederholt auftretende Abschnitte im Genom, sogenannte LTRs, als gefährliche Krebstreiber agieren können. Dr. Stephan Mathas (Charité,
MDC) und Prof. Constanze Bonifer (Universität Leeds) vermuten, dass aktivierte LTRs auch bei der Entstehung anderer Krebsarten eine wichtige Rolle spielen (Nature Medicine, doi 10.1038/nm.2129)*.

Fast die Hälfte des menschlichen Genoms besteht nach bisherigen Annahmen der Wissenschaft aus DNA, deren Funktion unbekannt ist. Sie umfasst Regionen außerhalb der eigentlichen Gene, die keine Information für ein Protein tragen, darunter befindet sich auch sogenannte Junk-DNA (Englisch „junk“ steht für überflüssiger Krempel).

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Dazu zählen unter anderem DNA-Schnipsel, die wiederholt im gesamten Genom vorkommen und als LTRs (long terminal repeats) bezeichnet werden. Vor Jahrmillionen sind sie von Retroviren zu Tausenden in das Genom des Menschen gelangt. Solche Viren haben die Fähigkeit, ihr eigenes genetisches Material in das Wirtsgenom einzubauen. Sie werden über verschiedene Vorgänge (zum Beispiel DNA-Methylierung) jedoch in der Regel stillgelegt und richten somit keinen Schaden an.

Untersuchungen am Hodgkin-Lymphom
Geht diese Kontrolle verloren, können die zuvor stummen DNA-Stücke angeschaltet werden und Gene in ihrer Nachbarschaft aktivieren, darunter prinzipiell auch solche, die Krebs auslösen. Das konnten Forscher bereits in Mäusen zeigen, nicht jedoch bei Krebserkrankungen des Menschen. Björn Lamprecht, Dr. Stephan Kreher und Dr. Mathas von der Charité und dem MDC (Forschungsgruppe Prof. Bernd Dörken) sowie Dr. Korden Walter und Prof. Bonifer (Leeds Institute of Molecular Medicine, Universität Leeds) haben jetzt erstmals für das Hodgkin- Lymphom, einem Lympdrüsenkrebs beim Menschen, nachgewiesen, dass aktivierte LTRs zur Krebsentstehung beitragen können.

Verwirrende Eigenschaften
Die Krebszellen des Hodgkin-Lymphoms, die sogenannten Hodgkin-/Reed- Sternberg-Zellen, waren ursprünglich Zellen des Immunsystems, haben aber fast alle Eigenschaften ihrer Ursprungszellen, der B-Zellen, verloren. Abhanden gekommen ist diesen Krebszellen auch der normalerweise für das Überleben von B-Zellen nötige B-Zell-Rezeptor – er fehlt auf den Hodgkin-/Reed-Sternberg-Zellen. Was aber hält die Hodgkin-/Reed-Sternberg-Zellen am Leben und bringt sie zum Wachsen, wenn der ursprüngliche B-Zell-Rezeptor verloren gegangen ist?

Es gelang den Forschern zu zeigen, dass das Wachstum der Hodgkin -/Reed-Sternberg-Zellen wesentlich von einem Faktor abhängt, der normalerweise nicht auf den B-Zellen vorkommt. Dieser Faktor, kurz CSF1R, (die englische Abkürzung steht für colony stimulating factor 1 receptor) kontrolliert eigentlich die Bildung anderer Immunzellen, der Monozyten und Makrophagen. Weiter wiesen die Forscher nach, dass aus dem Ruder gelaufene LTRs das Gen für diesen Faktor in Hodgkin-/Reed- Sternberg-Zellen aktivieren und damit das Überleben der Krebszellen sichern.

Genomweite Aktivierung von LTRs
Hodgkin-/Reed-Sternberg-Zellen sind aber nicht die einzigen Krebszellen, die mit diesem Mechanismus die normale Wachstumskontrolle unterlaufen. Hinweise auf eine Aktivierung dieser LTRs und des Faktors CSF1R fanden die Forscher auch im anaplastisch großzelligen Lymphom, einer anderen Form von Lymphdrüsenkrebs. Die Krebsforscher vermuten deshalb, dass die Aktvierung des Faktors CSF1R durch LTRs bei der Entstehung weiterer Lymphome eine Rolle spielt.

Außerdem konnten sie zeigen, dass in Hodgkin Lymphomen nicht nur ein einzelnes LTR aktiviert wird, sondern hunderte, wenn nicht gar tausende von ihnen überall im Genom. Die Konsequenz dieser Genom- weiten Aktivierung von LTRs ist im Augenblick noch unklar. Die Forscher spekulieren jedoch, dass solche Aktivierungsprozesse große Auswirkungen auf die Stabilität des Genoms von Lymphomzellen haben könnten und dazu beitragen, dass Krebszellen über einen längeren Zeitraum irreversible genetische Schäden anhäufen. Solche Vorgänge könnten deshalb nach ihrer Ansicht in Zukunft für Diagnose, Verlauf und Therapie dieser unterschiedlichen Krebserkrankungen von Bedeutung sein.

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