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Die Psychoanalyse wirkt

Therapien, die ein bis zwei Wochenstunden in Anspruch nehmen und durchschnittlich zwei  Jahre dauern, sind sehr gefragt. Auf diesem Markt bieten auch psychoanalytisch geschulte Therapeutinnen und Therapeuten ihre Dienste an. Ein vom Schweizerischen Nationalfonds unterstütztes Forschungsprojekt belegt nun, dass psychoanalytische Psychotherapien eine heilsame Wirkung entfalten – besonders bei schweren psychischen Störungen.

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Wie wirksam ist die psychoanalytisch ausgerichtete Therapie? „Der Psychoanalyse wird oft vorgeworfen, sie verweigere sich der Empirie“, sagt Joachim Küchenhoff, Chefarzt der Kantonalen Psychiatrischen Klinik Liestal (BL) und Professor für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Basel, „doch wir haben sie nun empirisch untersucht.“ In vier Jahren haben Küchenhoff und sein Team die Therapien von 47 Patientinnen und Patienten bei 37 Therapeutinnen und Therapeuten in der deutschen Schweiz während mindestens eines Jahres mit quantitativen und qualitativen Methoden untersucht.

Insgesamt stellen die Forscher eine signifikante Reduktion der Beschwerden, Beziehungsprobleme und anderer Symptome fest. Über die Hälfte der Patienten mit schweren Störungen wies nach einem Jahr keinen auffälligen Befund mehr auf. Auch die meisten andern konnten ihren Zustand nachweislich verbessern, blieben aber auffällig. Nur bei vier Patienten trat eine Verschlechterung der Symptome ein. Auch längere Therapien wurden beobachtet. Dabei zeigte sich, dass die wesentliche Änderung der Beschwerden meist im ersten Therapiejahr stattfindet. Die Forschenden behielten auch Patienten mit abgeschlossener Therapie im Auge. Der Trend sagt, dass psychoanalytische Psychotherapien auch nachhaltig wirken.

Eine Variante der klassischen Psychoanalyse

Um nur Behandlungen zu erfassen, die die Bezeichnung „psychoanalytisch“ verdienen, begleiteten die Forscher ausschliesslich Therapeuten, die die Standards der European Federation for Psychoanalytic Psychotherapy (EFPP) erfüllen, die also moderne psychoanalytische Konzepte und Methoden verwenden (Unbewusstheit, Berücksichtigung der Beziehung Therapeut-Patient sowie ihrer Veränderung, kognitions- und emotionsbezogene Herangehensweise). Dennoch war die klassische Psychoanalyse nicht Gegenstand der Langzeitstudie. Die jahrelangen, mindestens drei Wochenstunden auf der Couch umfassenden Behandlungen sind in der breiten Patientenversorgung in der Schweit nicht gebräuchlich. „Am gefragtesten sind circa zweijährige Therapien, bei denen man sich ein bis zwei Wochenstunden gegenüber sitzt“, sagt Küchenhoff. Diese Therapien habe man untersucht.

Zu Beginn der Therapie sah sich nur die Hälfte aller Patienten als schwer krank. Laut ihren Therapeuten aber litten über 90 Prozent unter deutlichen bis ausserordentlich schweren psychischen Erkrankungen. Und die schweren Fälle wiesen bessere Therapieergebnisse auf als die leichteren, einst klassischen Psychoanalysefälle, die sogenannten reifen Neurotiker. „Vielleicht entspricht diesen Leuten das klassische lange, intensive Setting eher, vielleicht haben die Therapeuten nach Jahren der Beschäftigung mit Borderline-, Trauma- und Selbstverletzungspatienten den Umgang mit ihrer klassischen Klientel auch etwas verlernt“, sagt Küchenhoff.

Verbesserte Selbstwahrnehmung als Hürde Ihre Daten erhoben die Forschenden mit standardisierten Fragebogen zu Befindlichkeit und Symptomen und mit Einschätzungen der Persönlichkeitsstruktur. Patienten und Therapeuten füllten die Fragebögen unabhängig vor, während und nach der Therapie aus. Mit qualitativen Interviews machten sich die Forschenden zudem ein Bild vom Krankheitszustand der Patienten. Die Daten enthalten also drei Perspektiven auf jede Therapie (Patient, Therapeut, unbeteiligter Dritter) – „ein dem Wissenschaftsbegriff der Psychoanalyse adäquater Forschungsansatz“, wie Küchenhoff sagt.

So geben einige Patienten während der Therapie mehr Symptome an als davor, obwohl sich ihr Zustand aus den anderen Perspektiven verbessert hat. Küchenhoff interpretiert das als Hinweis darauf, dass psychoanalytische Therapien die Fähigkeit zur Selbstwahrnehmung steigern können. „Der Patient erkennt manche Belastungen erst nach einer Weile Therapie richtig. Mehr wahrzunehmen kann grösseres Leid bedeuten, durch das er mit seinem Therapeuten hindurch muss.“ Die Daten enthalten auch Hinweise darauf, dass Therapeuten vor allem dann erfolgreich sind, wenn sie sich sehr genau auf die Bedürfnisse und Fähigkeiten ihrer Patienten einstellen. „Es hat keinen Sinn, komplizierte Deutungen an die Leute zu tragen, die sie nicht verstehen können“, sagt Küchenhoff. Was trivial klinge, sei im therapeutischen Alltag oft schwierig. Weitere Auswertungen der erhobenen Daten sollen nun zeigen, wie Therapeuten sich optimal auf ihre Patienten einstellen.

Publikationen (beide als PDF beim SNF erhältlich; E-Mail: pri@snf.ch).

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