Wissenschaftler der Charité – Universitätsmedizin Berlin haben die Rolle eines scheinbar unauffälligen Bakterienstamms bei der weiteren Entwicklung der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) geklärt. Die Moraxellen besiedeln bei etwa fünfzig Prozent aller COPD- Kranken die unteren Atemwege. Dr. Hortense Slevogt von der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Infektiologie und Pneumologie am Campus Virchow-Klinikum zeigt in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Nature Immunology* gemeinsam mit ihren Kollegen aus Essen, München und dem schwedischen Malmö erstmals, wie die Moraxellen bei der COPD den Krankheitsverlauf beeinflussen: Sie aktivieren den Rezeptor CEACAM 1, ein Molekül, das Zellen miteinander kommunizieren lässt. So sind sie in der Lage, die Antwort des Immunsystems entscheidend zu schwächen.
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Rezeptoren sind die „Empfangsstationen“ der Zellen. Sie sind chemisch für eine Vielzahl unterschiedlicher Aufgaben ausgerüstet. Die Forscher um Hortense Slevogt fanden heraus, dass die Moraxellen das Zusammenspiel der beiden Rezeptoren CEACAM 1 und TLR 2 zu ihren Gunsten verändern können. TLR 2 steht im Zentrum des körpereigenen Abwehrsystems. Aufgabe dieses Rezeptors ist es, eindringende Bakterien zu erkennen und zu bekämpfen. „Wir konnten zeigen, dass es den Moraxellen durch die Bindung an CEACAM 1 gelingt, die durch TLR 2 hervorgerufene Antwort des Immunsystems abzuschwächen. Die Bronchialschleimhaut reagiert zwar mit einer Entzündung, aber diese ist anscheinend zu schwach, um die Bakterien zu vernichten“, erklärt Slevogt. Sie vermutet, dass es den Moraxellen so gelingt, längere Zeit in den Bronchien der COPD-Patienten zu bleiben und damit zu einer chronischen Belastung für die Lunge zu werden.
Die Wissenschaftler entnahmen menschliche Schleimhautzellen aus dem Bronchialtrakt und infizierten sie im Labor mit Moraxellen. Dann wiederholten sie den Vorgang mit genveränderten Moraxellen, denen die Fähigkeit, den Rezeptor CEACAM 1 zu aktivieren, genommen war.
Ergebnis: Bei den veränderten Bakterien reagierte das Abwehrsystem der Zelle mit einer heftigen Entzündung, bei den „echten“ Moraxellen verlief diese wesentlich schwächer. „Das könnte problematisch sein“, erklärt Slevogt. „Denn die Entzündung soll eindringende Bakterien abtöten.“
COPD ist ein Sammelbegriff für eine Reihe von Lungenerkrankungen, darunter die chronische Bronchitis und das Lungenemphysem. Sie sind oft tödlich und betreffen fast ausschließlich Raucher, ehemalige Raucher oder Menschen, die sich dem Rauch anderer aussetzen.
Schätzungsweise vier bis sechs Millionen Menschen sind allein in Deutschland an COPD erkrankt.
Die Berliner Wissenschaftler möchten weitere Untersuchungen zur Rolle der Moraxellen bei der COPD anschließen. Darüber hinaus hoffen sie auf positive Folgen ihrer Entdeckung: „Wenn es gelingt, die Wirkung der Moraxellen auf TLR 2 zu imitieren, dann wäre das vielleicht ein neuer Weg, um die Antwort des Immunsystems gezielt zu schwächen“, meint Prof. Norbert Suttorp, der Leiter der Klinik.“Das wäre nützlich bei jeder Erkrankung, die mit einer zu starken Entzündung einhergeht.“
*Slevogt et al.: CEACAM1 inhibits Toll-like receptor 2-triggered antibacterial responses of human pulmonary epithelial cells , Nature Immunology, Nov. 2008, Vol. 9, No. 11, S. 1270-1278