• Home
  • Der Arzt an der Supermarktkasse

Der Arzt an der Supermarktkasse

46 Millionen Amerikaner sind nicht krankenversichert. Das US-Gesundheitswesen ist überteuert und überlastet. Schnelle und erschwingliche Hilfe leisten nun ausgerechnet die Supermarktkette Wal-Mart und andere Discounter mit Mini-Kliniken.

Candice Krauthammer war zum Roulettespielen nach Las Vegas gekommen und nicht, um drei Stunden wegen einer schmerzhaften Ohrenentzündung in der Notaufnahme zu verbringen oder um 150 Dollar für die zehnminütige Behandlung in einer Arztpraxis zu bezahlen. Das Hotel empfahl die „MinuteClinic“ einer nahen Drogerie. „Zuerst war ich mehr als skeptisch“, gibt die Frau aus Oakland, Kalifornien, zu. „Doch das Personal war äusserst professionell, verschrieb ein Medikament, und in 15 Minuten war das Ganze erledigt. Besser noch: die Konsultation kostete ganze 49 Dollar.“

„MinuteClinics“ sind ein neues Konzept im überforderten und überteuerten US-Gesundheitssystem, dessen horrende Versicherungsbeiträge dazu führen, dass 46 Millionen Menschen – jeder sechste – keine Krankenversicherung abschliessen.

Die Minuten-Kliniken gehören zu Drugstores wie CVS und Rite Aid oder arbeiten unter dem Dach von Warenhausketten wie Wal-Mart und Target. Ihr Pluspunkt: Eine Behandlung ist erschwinglich, sie lässt sich auch gleich noch mit der Lieblingsbeschäftigung der Amerikaner – Shopping – verbinden. Viele Versicherungen übernehmen die Kosten. In erster Linie sorgen Krankenschwestern, die Erkältungen und Blaseninfektionen ebenso zu behandeln wissen wie leichte Verbrennungen, für die Versorgung. Ein Arzt steht für zusätzliche Hilfe bereit. „Nehmen wir an, es ist Samstag und das Kind hat Fieber. Für einen solchen Fall sind wir ideal“, wirbt Krankenschwester Deborah Parrella. Ebenso für Nichtversicherte, die sich keinen Besuch bei einem Arzt leisten können und oft warten, bis ihre Krankheit zu einem Notfall wird.Preise ab 50 Euro

Die Preise rangieren zwischen 50 und 100 Dollar pro Besuch. Die Kliniken sind sieben Tage die Woche geöffnet und Terminvereinbarungen unnötig. Rund 300 dieser Kliniken gibt es bereits landesweit. Experten sehen diese Zahl in den nächsten Jahren auf bis zu 4000 anwachsen. Gerade hat Wal-Mart angekündigt, dass es in den nächsten zwei bis drei Jahren bis zu 400 zusätzliche Mini-Kliniken einrichten will. Es sei eine Reaktion auf die positive Resonanz der Kunden, heisst es. Was gut ist für den Kunden, ist auch gut für die Kette: die Kliniken locken zusätzliche Käufer in die Läden.

Der Trend besorgt nicht wenige Hausärzte. Sie monieren Slogans wie „You’re sick, We’re quick“ – Sie sind krank, wir sind schnell zur Stelle – und kritisieren, dass die schnellen Kliniken für kleine Krankheiten die klassische Gesundheitsversorgung der Bevölkerung unterminieren könnten.

Andere jedoch, so meldet die American Academy of Family Physicians, stellen sich bereits auf die Konkurrenz ein, versuchen die Wartezeiten zu verkürzen oder richten selbst Mini-Kiniken ein. Ein logischer Schritt für Richard Bohmer, Facharzt und Professor an der Harvard University. „Wir müssen nach neuen Wegen suchen, um die Gesundheitsversorgung für alle Bürger zu sichern. Und wenn diese Kliniken funktionieren – warum nicht?!“ Sie funktionieren so gut, sagt James Woodburn, der 162 „MinuteClinics“ in 19 Bundesstaaten vorsteht, dass seit Inbetriebnahme vor fünf Jahren 800 000 Patienten behandelt wurden. „Ohne eine einzige Klage wegen eines Kunstfehlers.“ Und das in einem Land, in dem wegen jeder Kleinigkeit gerne prozessiert wird. Ist das Krankheitsbild komplexer, so versichert Woodburn, wird der Patient an einen Arzt oder ein Krankenhaus weitervermittelt.

VON RITA NEUBAUER, Kölner Sdtadtanzeiger, 15.06.07, 23:10h

Leave A Comment

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.