• Home
  • Mineralwasser als Heilmittel

Mineralwasser als Heilmittel

Diese an der ETH Zürich entstandene Dissertation von Priska Binz Nocco ist kürzlich als Buch bei der Schweizerischen Gesellschaft für Geschichte der Pharmazie, Bern, erschienen und behandelt beispielhaft die medizinisch-pharmazeutischen Aspekte der Mineralwässer im Tessin des 19. und frühen 20. Jahrhunderts.

Es ist erfreulich, dass mit dieser Publikation endlich wieder einmal auf die medizinisch bedeutsame Wirkung vieler Mineralwässer aufmerksam gemacht wird. Nachdem über mehr als zweitausend Jahre die Erfahrungsmedizin Erkenntnisse über die erfolgreiche Anwendung bestimmter Heilwässer gewonnen und sie auch zahlreichen Indikationen gezielt zuordnen konnte, beschäftigte sich die wissenschaftliche Literatur seit Beginn des 19. Jahrhunderts in zunehmendem Umfang mit Mineralwässern, so dass diese mit ihren Inhaltsstoffen als gesetzlich verankerte Arzneimittel mit ihren Monographien Aufnahme in die internationalen Arzneibücher fanden. In diesem Zusammenhang steht das Aufblühen des Bäderwesens in der zweiten Hälfte des 19. und ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, das zu einem nicht zu unterschätzenden Wirtschaftsfaktor, gerade auch in der Schweiz wurde. Um so bedauerlicher ist es, dass seit Mitte des 20. Jahrhunderts Bestrebungen – offensichtlich von interessierter Seite – dazu führten, den medizinischen Wert der Heilwässer gesetzlich zu demontieren. So unterliegen in der Schweiz Heilwässer, wie auch alle anderen Mineralwässer, heute den Bestimmungen der Lebensmittelverordnung, wonach jeglicher Hinweis auf medizinische Wirkungen verboten ist. So versuchten die Heilbäder eine Flucht nach vorn anzutreten und mutierten, nur bedingt mit Erfolg, zu Wellnessbädern und sind gezwungen, die möglichen medizinischen Anwendungen ihrer Mineralwässer zu verschweigen und lediglich auf ihre physikalisch/physiatherapeutische Wirksamkeit (Auftrieb und Wärme) zu beschränken.

[ad]

Mit dieser Entwicklung ist auch die Zahl der  Publikationen über die medizinischen Wirkungen von Mineral- und Heilwässern praktisch zum Erliegen gekommen. Die Arbeit von Priska Binz Nocco kann damit allen Interessierten wertvolles Wissen vermitteln, das anderswo kaum noch zu finden ist. Dabei ist die räumliche Beschränkung auf das Tessin unerheblich, weil die Darstellung in weiten Teilen allgemeingültig ist.

So beschäftigt sich die Autorin zuerst in einem geschichtlichen Rückblick mit der gesundheitlichen Nutzung von Mineralquellen in ganz Europa und der arabischen Welt.

Interessant, kaum bekannt und mit Schwerpunkt dargestellt, wird der grosse Anteil, den das Apothekerwesen in früheren Zeiten an der medizinischen Nutzung der Mineralwässer hatte, vor allem, dass Apotheker als Erste Methoden zur Analyse der Wässer entwickelten und Analysen als Dienstleistung anboten, so dass Heilbäder und Quellenbetreiber ihre Wässer mit eindeutiger Identifikation anbieten konnten.

In diesem Zusammenhang wird sowohl auf die Entwicklung der Mineralwasseranalyse, einschliesslich ihrer Klassifizierung und die gesetzlichen Bestimmungen für Mineralwässer, im Wandel der Zeit eingegangen. Erstaunlich im Rückblick ist daneben das starke Engagement der Apotheken im Handel mit Mineralwässern, die auch über weite Distanzen beschafft und an Genesung suchende ausgeliefert wurden.

Als ein anderer, wesentlicher, heute fast bedeutungslos gewordener Sortiments-Bereich für Apotheken in damaliger Zeit, wird die Herstellung, vor allem aber der Verkauf von Trockensubstanzen der Mineralwässer dargestellt. (Als heute noch erhältlich seien die Vichy-, Emser oder Bad Heilbrunner Pastillen beispielhaft erwähnt).

Kurios wirkt auf heutige Leser, dass Apotheker zur damaligen Zeit in erheblichem Umfang künstliche Mineralwässer herstellten, indem sie einem örtlichen Trinkwasser Inhaltsstoffe gemäss der bekannten Analysen zufügten.

In einem weiteren, wesentlichen Teil der Schrift, beschäftigt sich die Autorin mit der Balneologie, der damaligen Mineralquellenforschung, der wissenschaftlichen Balneologie in ihrer Organisation, sowie der balneologischen Literatur und schliesslich der therapeutischen Anwendung von Mineralwässern für Bade- und Trinkkuren und die medizinische Betreuung der Patienten während der Kur.

Es folgt die detaillierte Darstellung der damals bestehenden und heute noch im Tessin existierenden Thermalquellen und ihre Nutzung sowie abschliessend, anhand von Dokumenten der noch heute bestehenden Farmacia Vantussi in Bellinzona, die damalige starke Einbindung von Apotheken  in die Anwendung von Mineralwässern. So hat im Anhang, neben verschiedenen Abbildungen, auch die Wiedergabe von Mineralwasserverschreibungen der Apotheke Vantussi Aufnahme gefunden.

Vor allem fachlich interessierte Leserinnen und Leser werden das angefügte umfangreiche Quell- und Literaturverzeichnis für die weitere Erkundung des Generalthemas Mineralwasser zu schätzen wissen. Überhaupt sprengt die Autorin mit ihrem Werk die selbst gestellte Einschränkung auf das Tessin und die Einordnung in die Rubrik „Geschichte der Pharmazie“ mit Informationen, die einen breiteren Leserkreis interessieren dürfte.

Zu beziehen ist das Werk über den Schweizerischen Apothekerverband:

Priska Binz Nocco:
Mineralwasser als Heilmittel
Verlag Schweizerische Geschichte der Pharmazie
Band 29
Schwyz, 2008
Broschur, 404 Seiten
ISBN 3-9522758-6-7
CHF 40.-, EURO 25.-

Bestellungen bitte per Adresse:
Schweizerische Gesellschaft für Geschichte der Pharmazie
c/o Schweizerischer Apothekerverband
Frau Ursula Streit
Stationsstrasse 12
CH-3097 Bern-Liebefeld

Fax-Nummer: +41 31 978 58 59

E-Mail-Adresse: ursula.streit@pharmasuisse.org

Link

Leave A Comment

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.